29. April 2004
Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache C-476/01 Felix Kapper
EIN MITGLIEDSTAAT DARF EINEM VON EINEM ANDEREN MITGLIEDSTAAT AUSGESTELLTEN FÜHRERSCHEIN DIE ANERKENNUNG NICHT DESHALB VERSAGEN, WEIL NACH DEN IHM VORLIEGENDEN INFORMATIONEN DER FÜHRERSCHEININHABER ZUM ZEITPUNKT DER AUSSTELLUNG DES FÜHRERSCHEINS SEINEN ORDENTLICHEN WOHNSITZ NICHT IM HOHEITSGEBIET DES MITGLIEDSTAATS HATTE, DER DEN FÜHRERSCHEIN AUSGESTELLT HAT
Ein Mitgliedstaat darf die Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins, der später von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellt worden ist, nicht weiterhin ablehnen, wenn die frühere Fahrerlaubnis des Führerscheininhabers im erstgenannten Mitgliedstaat entzogen oder aufgehoben wurde, die Sperrfrist für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis in diesem Mitgliedstaat aber bereits abgelaufen ist. Mit Strafbefehl vom 26. Februar 1998 hatte das Amtsgericht Frankenthal Herrn Kapper die deutsche Fahrerlaubnis entzogen und die Verwaltungsbehörden angewiesen, ihm vor Ablauf von neuen Monaten, also bis zum 25. November 1998, keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Im Jahr 2000 verhängte dasselbe Gericht gegen ihn eine Geldstrafe, weil er 1999 in Deutschland ein Kraftfahrzeug ohne gültige Fahrerlaubnis geführt hatte; Herr Kapper war zu dieser Zeit im Besitz eines am 11. August 1999 ausgestellten niederländischen Führerscheins. Im Rahmen des von Herrn Kapper eingeleiteten Einspruchsverfahrens möchte das Amtsgericht vom Gerichtshof wissen, ob die Richtlinie über den Führerschein der Anwendung der nationalen Vorschriften entgegensteht, wonach dem in den Niederlanden ausgestellten Führerschein die Wirksamkeit in Deutschland abgesprochen wird. Der Gerichtshof weist zunächst darauf hin, dass nach seiner Rechtsprechung diese Richtlinie die gegenseitige Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine ohne jede Formalität vorsieht. Da sie dem Ausstellungsmitgliedstaat eine ausschließliche Zuständigkeit verleiht, sich zu vergewissern, dass die Führerscheine unter Beachtung der in der Richtlinie vorgesehenen Wohnsitzvoraussetzung ausgestellt werden, ist es allein Sache dieses Mitgliedstaats, geeignete Maßnahmen in Bezug auf diejenigen Führerscheine zu ergreifen, bei denen sich nachträglich herausstellt, dass ihre Inhaber diese Voraussetzung nicht erfüllt haben. Hat ein Aufnahmemitgliedstaat ernsthafte Gründe, die Ordnungsmäßigkeit eines oder mehrerer von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellter Führerscheine zu bezweifeln, so hat er dies dem anderen Mitgliedstaat im Rahmen der gegenseitigen Unterstützung und des Informationsaustauschs nach der Richtlinie mitzuteilen. Der Gerichtshof stellt daher fest, dass der in der Richtlinie vorgesehene Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der Führerscheine es einem Mitgliedstaat (A) verbietet, die Anerkennung eines von einem anderen Mitgliedstaat (B) ausgestellten Führerscheins mit der Begründung zu verweigern, dass der Inhaber des Führerscheins nach den Informationen, über die der erstgenannte Staat (A) verfügt, zum Zeitpunkt der Ausstellung des Führerscheins seinen ordentlichen Wohnsitz im Hoheitsgebiet dieses Staates (A) und nicht im Hoheitsgebiet des Ausstellungsstaats (B) gehabt habe. Sodann stellt der Gerichtshof klar, dass für Herrn Kapper, als er am 11. August 1999 den niederländischen Führerschein erhielt, keine Sperre mehr für die Beantragung einer Neuerteilung der Fahrerlaubnis bei den zuständigen deutschen Behörden mehr bestand. Die Richtlinie erlaubt es einem Mitgliedstaat (A), die Gültigkeit eines von einem anderen Mitgliedstaat (B) ausgestellten Führerscheins dann nicht anzuerkennen, wenn auf dessen Inhaber im Hoheitsgebiet des erstgenannten Staates (A) eine Maßnahme der Einschränkung, der Aussetzung, des Entzugs oder der Aufhebung der Fahrerlaubnis angewendet wurde. Diese Ausnahme ist ihrem Wesen nach eng auszulegen, und ein Mitgliedstaat kann sich nicht auf sie berufen, um einer Person, auf die in seinem Hoheitsgebiet eine Maßnahme des Entzugs oder der Aufhebung einer früher von ihm erteilten Fahrerlaubnis angewendet wurde, auf unbestimmte Zeit die Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins zu versagen, der ihr möglicherweise später von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellt wird. Ist nämlich die Sperrfrist für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats bereits abgelaufen, so verbietet es die Richtlinie diesem Mitgliedstaat, weiterhin die Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins, der dem Betroffenen später von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellt worden ist, abzulehnen. Es wäre die Negation des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung der Führerscheine selbst, der den Schlussstein des mit der Richtlinie eingeführten Systems darstellt, wenn man einen Mitgliedstaat für berechtigt hielte, die Anerkennung eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins unter Berufung auf seine nationalen Vorschriften unbegrenzt zu verweigern.
Quelle:
http://curia.eu.int/de/actu/communiques/cp04/aff/cp040033de.htm
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Keine Nutzungsuntersagung des EU Führerscheins, auch bei zuvor negativer oder nicht beigebrachter MPU. Dieser Beschluss bedeutet die endgültige Legalisierung des EU Führerscheins auch im konservativen Deutschland. Klick
Kommentar: "erst ein nachträgliches Auffälligwerden gibt der Behörde Gelegenheit zu einem Einschreiten auf der Grundlage des Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie." D.h., eine MPU Auflage, kann erst nach erneutem Auffälligwerden erfolgen. Mit alten Tatbeständen darf eine MPU Auflage somit nicht begründet werden.
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Die EU Kommission nimmt Stellung zu nicht zulässigen MPU Auflagen und Nutzungsuntersagungen
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"Das Gemeinschaftsrecht (EU Recht) verdrängt widersprechendes nationales Recht (hier: deutsche FeV). Der Vorrang des EG-Rechts vor einzelstaatlichem Recht erfolgt zwingend aus der Klammerwirkung der Rechts in einem als Rechtgemeinschaft verfassten engen Staatenverbund. Würde das Gemeinschaftsrecht kollidierende nationale Rechtnormen in den Mitgliedstaaten neben sich dulden, verlöre es seine Autorität und Wirkung..."
"Aus alledem folgt, dass jeder staatliche (deutsche) Richter VERPFLICHTET ist, das Gemeinschaftsrecht UNEINGESCHRÄNKT anzuwenden und die Rechte, die es den Einzelnen verleiht (EU-Führerscheinbesitzer), zu schützen, indem JEDE möglicherweise entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts, gleichgültig, ob sie früher oder später als die Gemeinschaftsnorm ergangen ist, unangewendet lässt (Rn. 17-21 des Urteils)"
Urteile:
EuGH-Urteil Costa/Enel vom 15.7.64, Rs. 6/64=NJW 1964, 2372 EuGH-Urteil Simmenthal II vom 9.3.78, RS. 106/77=NJW 1978, 1741
Quelle:
http://www.mpu-idiotentest.com/forum/cutecast/cutecast.pl?forum=5&thread=906
"Den Idiotentest kann man vergessen"
Donnerstag, 19. August 2004
GERICHT / Nach Urteil des Europäischen Gerichtshofes Freispruch für 63-Jährigen. Sein holländischer Führerschein gilt. MOERS. Heinz B. (Name geändert) hat in zweiter Instanz gewonnen. Die achtmonatige Bewährungsstrafe für dreimaliges Fahren ohne Führerschein ist vom Tisch, weil sein holländischer Führerschein auch in Deutschland gültig ist. Das Urteil der Auswärtigen Kleinen Strafkammer des Landgerichts Kleve lautete gestern: Freispruch. Erstritten hatte es der Verteidiger des 63-Jährigen, Rechtsanwalt Dr. Werner Säftel aus Frankenthal, vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg. War es bisher so, dass laut Fahrerlaubnisverordnung bei Entzug des deutschen Führerscheins einer aus dem europäischen Ausland ungültig war, ist das jetzt anders. Das Urteil aus Luxemburg hat wirklich überzeugt "Hut ab vor dem Europäischen Gerichtshof", meinte der Vorsitzende Richter Ulrich Knickrehm vergnügt, "das Urteil hat mich wirklich überzeugt." Und zum Angeklagten: "Sie haben einen großen Sieg errungen." Doch Heinz B. schien sich nicht sehr zu freuen. Seit Jahren lag er im Clinch mit Polizei und Straßenverkehrsbehörden, zuletzt wurde sein Mercedes 260 E eingezogen und verschrottet. Den muss ihm das Land NRW nun ersetzen. Verteidiger Werner Säftelt lakonisch: "Die MPU kann man vergessen." Womit er darauf ansprach, dass man sich bei Führerscheinentzug nicht auf die medizinisch-psychologische Untersuchung, Idiotentest genannt, werde einlassen müssen, sondern einen Zweit-Führerschein im europäischen Ausland erwerben könne. Wobei allerdings die ausländischenVorausssetzungen zu beachten wären. "Das wird für uns Folgen haben", so Staatsanwalt Heinz-Joachim Moser. Der Staatsanwalt musste die Waffen strecken Richter Knickrehm ließ keinen Zweifel daran, wie sein Urteil ausfallen würde: "Wenn dem Herrn Staatsanwalt nicht was besonders Schlaues einfällt..." Doch der musste angesichts des EuGH-Urteils die Waffen strecken und schloss sich dem Antrag des Verteidigers auf Freispruch an. Rechtsanwalt Säftel führte gestern bereits die große Zahl von Wiederaufnahmeverfahren ins Feld, die nach dem EuGH-Urteil auf die Gerichte zukämen. Der Führerscheintourismus beispielsweise nach Polen oder Tschechien werde massiv zunehmen. Dem 63-Jährigen Heinz B. kann das alles egal sein. Er darf nun mit seinem holländischen "Lappen" fahren. "Allzeit gute Fahrt!" rief der Richter noch hinter ihm her....