Im Millionenfiber
Wissen macht sich jetzt wieder bezahlt: Allabendlich locken Quiz-Shows mit einem Vermögen - allen voran RTL mit "Wer wird Millionär". Die Kandidaten schwitzen und ganz Fernsehdeutschland rätselt mit.
Immer Dienstags, immer mit 30 Personen, die aus ganz Deutschland anreist sind, um zu zeigen, daß es machbar und garnicht so schwer ist, fünfzehn Fragen zu beantworten. An diesem Ort in den Fernsehstudios von Hürth, den NOB-Studios, in denen Fernsehserien und Talkshows entstehen, wird die Sendung "Wer wird Millionär?" aufgezeichnet. Geschafft hat es bislang noch keiner. Dabei sind die Regln ganz einfach: Jauch stellt Fragen, für jede Antwort gibt es Geld und nach jeder Runde verdoppelt sich der Betrag. Wer 15mal hinter einander die richtige Antwort kennt, ist um 1.000.000 Mark reicher.
Jeden Dienstag gegen 14 h fährt ein Bus nach Köln-Hürth - drinnen 30 Menschen, und jeder von ihnen hofft, bei der Rückfahrt der Millionär zu sein. Der Bus vorbei an Flachbauten angeordnet wie die Häuser in einer Kaserne. An jedem verrät ein Plakat, wer hier seiner Arbeit nachgeht
as eine zeigt Moderator Hans Meiser, ein weiteres die Moderatorin Bärbel Schöfer. Am Rande der Siedlung steht der Container, indem die "Big Brother"-Besatzung lebt, und nicht weit davon hält der Bus unter dem Plakat des Quismasters Günther Jauch.
Kein Star-Interview, ein Spezialeffekt, kein Showauftritt stören den Verlauf der Show. Moderne Event-Manager würden das langweilig nennen. Aber in den Bann geschlagen ist die Nation: "Wer wird Millionär?" beschert Einschaltquoten wie früher nur Championsleague und Formel 1; seit Wochen fallen 8 bis 11 Millionen Deutsche zur besten Zeit in einen kollektiven Rate-Rausch. Noch interessanter findet Jauch, dass er damit in die Quotensphären seines früheren Kumpel Thomas Gottschalk und dessen "Wetten dass ...?" eingedrungen ist. Der Erfolg weckte auch die Mitbewerber: Sat.1 dachte sich die Sendungen "Die Quiz Show", "Die Chance deines Lebens" und "Das Millionenquiz" aus, um noch ein paar Krümelchen vom Quotenkuchen abzubekommen. Das Format kommt dem Kirch-Sender gerade recht, um das müde Vorabendprogramm aufzupeppen
er ehem. Talkshow-Mann Jörg Pilawa soll ab 27. November gleich 2-mal täglich zur "Quiz Show" einladen - so schwungvoll ist schon lange niemand mehr auf einen fahrenden Zug aufgesprungen.
RTL dagegen kümmert sich jetzt schon um eine Verlängerung des Erfolges - und hat "Wer wird Millionär?" ins Internet gestellt: Wer will, kann paralel zur Ausstrahlung im Fernsehen mitspielen, als sei er Kandidat bei Günther Jauch. Bis zu 1,5 Millionen Mitspieler täglich klicken sich zu
www.rtl.de und raten mit. Aber der Journalist mit dem netten Schwiegersohn-Gesicht ist nur das halbe Geheimnis. "Wer wird Millionär?" ist die Sendung, die alle Zuschauer vereint: Grosseltern mit Enkeln und Studienräte mit Lkw-Fahrern.
Wenn nach einer Boygroup gefragt wird, weiß die Enkelin etwas, will Jauch etwas über die römischen Kaiser wissen, dann freut sich der Großvater. Der Lkw-Fahrer scheitert an Pikasso, der Studienrat am Hauptdarsteller einer Vorabendserie.Und auch der einsamste Zuschauer sitzt irgendwo und schreit auf seinen Fernseher ein: "Antwort D, du Depp!" Vor allem in heutiger Zeit, in denen Alles neu ist, in denen Wirtschaft nicht Wirtschaft, sondern "Economy" ist, in denen Jugendliche schon Firmen gründen und das Wort der digitalen Revolution die Runde macht,in denen es zum Lebenserfolg zu viele Wege gibt, aber einen absehbaren, zeigen die Rateschows einen Weg aus dem Dilemma: Hier gewinnt der, der etwas weiß. Hier zählen nur Fakten und nicht die richtigen Bekanntschaften, die spitzesten Ellenbogen oder das richtige Elternhaus. Dabei ist das Comeback der Quizshows kein Zeichen für das Widererstarken einer klassisch, humansitischen Bildung: Auch der selbsternannte Volkspätagoge Dietrich Schwanitz, dessen Bücher zu Bestsellern werden, hätte Mühe und Not mit Fragen nach Fußball und Pop- und wenn Günther Jauch nach lateinischen Aussprüchen fragt, standen die sicherlich schon in Asterixheften.
Wenn man der Logik von Jauchs Show folgt, geht nicht eines ohne das andere:Seine Gewinner müssen nicht nur wissen, welcher Autor das Wort vom "Big Brother" prägte (George Orwell), sondern auch wer die Computerfirma Apple gründete (Steve Jobs).
Vorbei scheinen die Zeiten der Fachidioten und Streber, die früher beim "Großen Preis" auftraten, alles über Maikäfer erzählen konnten, aber nichts über Waldameisen. Wer oft richtig liegt bei Jauch, hat das Gefühl, teil zu haben am wahren Leben, zu wissen, was Wichtig ist. Auch weil der Jauch gleich zahlt: Richitge Antworten bringen Geld, nur nicht gute Noten. Wer weiß, eventuell sagen sich Oberschüler bald: Nicht nur für die Schule lernen wir, sondern auch für "Wer wird Millionär?".
Was "Wer wird Millionär?" so sexy macht, ist die Tatsache, daß diese Show unwiedersprochen zeigt, was man nun wirklich können muss. Nicht ausschließlich Schulwissen ist gefragt, sondern eben auch eine gehörige Dosis "Bild" und MTV. Jauch hilft der Nation sich auf einen Wissenskatehcismus zu einigen, sehr wichtig im Jahre 2000, indem sich Eltern täglich fragen, ob die klassische Schulbildung für ihre Kinder noch das richtige ist. Oder zählt nicht viel mehr die Fähigkeit, ein Tabellenkalkulations-Programm zu bedienen und seine eigene Website zu programmieren.
Die 30 Kandidaten verbreiten im Wartezimmer der Show in Hürth etwas von der Atmosfäre eines Schulhofes kurz vor Schulbeginn: wühlen sich durch hohe Papierstapel, auf denen Namen amerikanischer Präsidenten stehen und Fachbegriffe aus Medizin, Chemie und Physik. Sie wirken wie Schüler, die hektisch kurz vor dem Vokabeltest im Lateinbuch noch einmal blättern. Um sicher zu gehen. Um auch ja nichts zu vergessen.
Jauch hat 2-mal den Anzug gewechselt und pro Show durchschnittlich zwei Kandidaten in die Mitte zu sich gebeten.
Die meisten von Ihnen fahren mit ein paar 1000 Mark nach Hause, nur ein 20-jähriger,der nicht zwischen "Fresko" und "Frisco unterscheiden kann, verlässt Hürth ganz ohne Gewinn. Am Ende des Tages, gegen 23 h, sind 3 Shows aufgezeichnet. Verlaufen sind die Aufzeichnungen zügig, zweimal streikten die Computer. An diesem Donnerstag entstanden in Köln die Folgen 48, 49 und 50 von "Wer wird Millionär?" - 50, ein kleines Jubliäum der verfilmten Rätselserie. Diese Entwicklung war nicth abzusehen: Weder Gabriele Ruschin, 51, die Produzentin der Show, noch Matthias Alberti, 73, heute Unterhaltungchef von RTL, konnten sich im September 199 sicher sein, dass "Wer wird Millionär?" einen solch großen Erfolg haben wird.Beide hatten im Sommer einige Videokassetten mit Folgen der britischen Show "Who Wants to be a Millionaire?" gesehen. Am Konzept hatte der Brite Paul Smith vier Jahre herumgebastelt und sich ausgemalt, wann welche Scheinwerfer strahlen sollten und wann welche Musik spielen - hatte also das perfekte Erfolgs-Libretto geschrieben, dass niemand und nichts verändern darf.
Sowohl Ruschin als auch Alberti war es klar, dass diese Sendung ovm Inhalt her uralt wirkte. Aber RTL vertraute der guten Nase der Endemol-Leute - diese haben in der Branche sowieso den Ruf von Trüffelschweinen.
Ein kleines bisschen Riskio sei dabei gewesen, sagt Alberti heute, aber ein Kalkulierbares.Die Sendung schaffe schon in England unerwartet hohe ZuschauerQuoten. Wie hoch das Budget je Folge ist und wieviel Günther Jauch als Gage bekommt, ist ein Geheimnis. Die Kandidatengewinne sind offizziell bekannt:In den bislang 50 Sendungen wurden insges. 5 016 500 DM verspielt, ein Schnitt von 100 300 Mark pro Show. Die Arbeitseinteilung zwischen Endemol und RTL sieht so bis heute aus: Endemol produzirt, kümmert sich um tecnhischen und logistischen Ablauf um Auswahl von Kandidaten und Quiz-Fragen. RTL bezahlt den Moderator und die Gewinne.
Einen großen Teil der Gelder holt RTL über die Telefon-Hotline wieder herein. Die Menschen können anrufen, und sich als Kandidat bewerben. Eine Frage müssen sie beantworten, und falls sie richtig liegen, dürfen sie ihre Nummer und ihren Namen hinterlassen. Ein Anruf kostet im Durchschnitt 2,50 DM. Während der Folgen der Show, sagte uns Matthias Alberti, sei es noch recht einfach gewesen, 1/2 der Gewinngelder durch die Telefon-Hotline zu finanzieren. Inzwischen seien jedoch die Einnahmen nicht mehr relewant. Konkurrenzshows wie "Die Quiz Show" und "Die Schance deines Lebens" zögen zu viele Bewerber ab.